Versöhnung setzt Streit voraus

„Everything is going to be fine in the end. If it's not fine it's not the end.“

(Oscar Wilde zugeschrieben)

Ich hatte Ihnen von meinem Gespräch mit meinem Griechischlehrer erzählt.

Es war die Nummer vier im Rätselspiel.

Ein mich und ihn sehr berührendes Gespräch am Telefon, an einem Sonntag während eines Seminars, das ich besuchte, um ein Problem zu lösen, das ich mit ihm hatte und mit niemandem sonst.

In der Psychologie spricht man da von Übertragung.

Die man am besten mit DEM Menschen auflöst, den sie betrifft.

Wir hatten, wie schon gesagt, ein etwas problematisches Verhältnis.

Ich kam regelmäßig zu spät, knallte meinen Motorradhelm auf den Tisch, er sagte: „Schürks, bleiben Sie gleich mal stehen, Vokabeln“.

Dann gab er mir, nicht immer ganz unberechtigt, eine Sechs und ich durfte mich setzen.

Wir waren nur wenige in diesem Leistungskurs, ich glaube, wir waren neun. Neun Jungs, Mädchen gab es bei uns auf der Schule nicht. Oder erst Jahre später.

Einmal lud er uns ein in sein großes Haus und, während die anderen Jungs im Garten saßen, Würstchen aßen und Bier tranken, führte er mich herum, zeigte mir alles Mögliche und erzählte mir sehr persönliche Geschichten aus seinem Leben.

Wie gesagt: Es war etwas problematisch, unser Verhältnis.

Ich hätte es damals nie für möglich gehalten, dass wir zwanzig Jahre später ein solches Gespräch führen und uns versöhnen würden.

Was mir damals noch nicht so sonnenklar war:

Versöhnung setzt Streit voraus.

Gesundung setzt Krankheit voraus.

Erkenntnis setzt Unwissenheit voraus.

Rechts gibt es nicht ohne links, oben nicht ohne unten, ein Nein nicht ohne ein Ja.

Wir leben in einer Welt der Gegensätze und der eine Pol ist so wichtig wie der andere.

Ohne den einen gäbe es den anderen nicht.

Der eine ist nicht besser als der andere, das Ende nicht besser als der Anfang.

Beides ist gut, so wie es ist.